Kirchenjahr/Liturgisches Jahr
Ausgangspunkt für die Bestimmung des Ostertermins war die Überlegung, dass das jüdische Pessachfest am Tag des ersten Frühlingsvollmondes gefeiert wurde, für den sich der 21. März als vereinbartes Datum herausbildete, nach neutestamentlicher Überlieferung Jesus an einem Rüsttag zum Sabbat, dem 15. Nissan , gekreuzigt wurde und sich die Auferstehung am dritten Tage ereignete. Hieraus ergibt sich ein variabler Ostertermin zwischen dem 22. März und dem 25. April, der nicht immer streng mit den astronomischen Gegebenheiten übereinstimmt (sogenannte Osterparadoxien). In Gallien wurde aber z.B. noch bis ins 6. Jahrhundert Ostern an einem festen Datum, dem 25. März, begangen. In mittelalterlicher Tradition wurde die Berechnung des Computus auch in gesungenen Memorierversen tradiert, wie z.B. in den 19 neumierten Versen über den terminus paschalis in der St. Galler Handschrift CH-SGs 338 <http://e-codices.unifr.ch/en/csg/0338/4/0/Sequence-485>, aus der Mitte des 11. Jahrhunderts. Von der zentralen Bedeutung des Osterfestes ausgehend, ergibt sich die übergeordnete Gliederung des Kirchenjahres in den analog zum jüdischen Pessach ausgebildeten Osterfestkreis mit allen von ihm abhängigen Festen und in den Weihnachtsfestkreis.
Der Sonntag erhält seine Legitimation durch die neutestamentliche Überlieferung, nach der der auferstandene Christus am »ersten Wochentag« (Joh 20,19; Lk 24,13) und am »achten Tag« (Joh 20,26) zu den Jüngern hinzutritt, um mit ihnen Mahl zu halten, und er selbst trägt die Gedächtnisfeier dieses Mahls für den ersten Tag der Woche auf (Apg 20,7; Hebr 10,19–15).
Die Adventszeit wurde in der Alten Kirche ursprünglich als 40-tägige Fastenzeit zwischen dem 11. November und dem 6. Januar begangen, wobei die Samstage und Sonntage fastenfrei waren. In der Folge gab es zwischen vier und sechs Adventssonntage. Im ambrosianischen Ritus und z.B. in der Diözese Mailand gibt es bis heute eine sechswöchige Adventszeit.
Die Feier des Weihnachtsfestes am 25. Dezember beginnt wie beim Osterfest bereits in der Nacht (Missa in vigilia) und wird mit drei weiteren Messen fortgeführt (Missa in nocte, Missa in aurora, Missa in die mit dem Introitus Puer natus est . Die Woche vor Weihnachten wird als sogenannte Quatemberwoche begangen, die musikalisch besonders durch die sogenannten O-Antiphonen zum Magnificat der Vesper (LU 340–342) ausgezeichnet ist. Sie stehen alle im zweiten Modus, was wie beim Tractus für ein hohes Alter spricht. Die Quatember (= quattuor temporum) sind vier vom Naturjahr bestimmte Fasten- und Bußwochen, wobei besonders Mittwoch, Freitag und Samstag herausgehoben sind. Die Winterquatember sind vom 17.–23. Dezember, die Frühjahrsquatember in der 1. Fastenwoche, die Sommerquatember in der Woche nach Pfingsten und die Herbstquatember nach dem Fest Kreuzerhöhung (14.9.)
Besondere Bedeutung genießt unter den Heiligenfesten das des ersten bekannten Märtyrers, des Hl. Stephanus am 26. Dezember. Für alle Heiligen gemeinsam entstand das Fest Allerheiligen am 1. November (omnium sanctorum) und auch Heilige, die kein eigenes Fest erhielten, konnten durch Auswahl der Gesänge und Gebete aus dem sogenannten Commune , das generell nach verschiedenen Kategorien (etwa Bekenner, Märtyrer etc. ) geordnet war, gefeiert werden. Durch Kirchweihen (Dedicatio ecclesiae) entstanden weitere Heiligenfeste für die jeweiligen Kirchenpatrone, so etwa das Fest des Erzengels Michael in der Westkirche am 29. September (Weihetag der Michaelskirche an der Via Salaria in Rom), das Fest Kreuzerhöhung am 14. September (Einweihung der konstantinischen Bauten auf dem Kalvarienberg) und viele Apostelfeste. Da es wegen der Vielzahl von Festen nicht zu vermeiden war, dass mehrere Feste auf den gleichen Tag fielen, wurden die Feste verschiedenen Festrängen zugeteilt, um die konkurrierenden Festansprüche zu regeln: Hochfeste (Sollemnitates, etwa das Österliche Triduum, Weihnachten, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Dreifaltigkeit, Fronleichnam, Epiphanie, Verkündigung des Herrn , Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen, Peter und Paul) haben den höchsten liturgischen Rang und verdrängen konkurrierende Feste niedrigeren Ranges (Fest, Gedenktag, Feria = Wochentag ohne besondere liturgische Prägung) und Sonntage in den nicht geprägten Zeiten. In den geprägten Zeiten (Fastenzeit, Osterzeit, Advent) haben die Sonntage jedoch Vorrang vor den Hochfesten. In den liturgischen Handschriften werden die verschiedenen Festränge durch Rubriken wie duplex maius, totum duplex , duplex, semiduplex und simplex angegeben.
Editionen
Improperien (Popule meus und Trishagion): GT 176–178
Venenatius Fortunatus: Prozessionshymnus Pange lingua/Crux fidelis: GT 182–184
Exsultet: LU 776 M-776 O
Introitus Resurrexi: GT 196
Introitus Ad te levavi: GT 15
Thomas von Aquin: Sequenz Lauda Sion salvatorem: GT 379–383
Sequenz Stabat mater: GT 602–605
Stundengebet
Benedikt von Nursia hält sich in seiner Regel stets an das rechte Maß und vermeidet Überforderungen: So sollen die Psalmen, die im Mittelpunkt des Stundengebetes (liturgia horarum) stehen, nicht wie bei den asketischen Wüstenvätern an einem einzigen Tag, sondern einmal pro Woche ganz gebetet werden. Auch bei den Strafen für Verstöße gegen die monastische Ordnung ist die Regel Benedikts weitaus moderater als etwa die Regel des irischen Mönchsvaters Columban (um 543–615), nach der z.B. Husten beim Psalmensingen mit sechs Schlägen bestraft werden soll. Insgesamt stellt Benedikts Regel eine Summe vorhergehender Regeln, wie etwa der des Basilius , des Cäsarius oder des Pachomius dar. Für die Einteilung des Stundengebetes selbst in acht Gebetszeiten (Horen) wählt Benedikt wiederum zwei Verse aus Psalm 118: »Sieben mal am Tage habe ich Dir Lob gesagt« (septies in die laudem dixi tibi, Ps. 118,164) und »In der Mitte der Nacht werde ich mich erheben, um dich zu preisen« (media nocte surgebam ad confitendum tibi, Ps. 118,62). Der Tag wird hierbei vom Hahnenschrei (in galli cantu) bis zum Sonnenuntergang gerechnet, Tag und Nacht teilen sich in jeweils drei mal vier Stunden, wobei Tages- und Nachtstunden verschieden lang waren (horae inaequalis). Die Zeitmessung erfolgt am Tage mit einer Sonnenuhr, in der Nacht durch Kerzen- oder Wasseruhren. Diese werden durch die Länge von Gebeten (etwa dem Pater noster oder Psalmen) geeicht. Der für diese Zeitmessung zuständige Mönch, der sozusagen als menschliche Uhr (significator horarum) fungierte, trug vor allem Verantwortung dafür, seine Mitbrüder rechtzeitig zum Beginn der Matutin zu wecken.
Wegen der zentralen Bedeutung der Psalmen sei auf die beiden verschiedenen Zähltraditionen im Buch der Psalmen hingewiesen: Zum einen die Zählung der hebräischen Bibel, die später auch Luther aufgreift; zum anderen die griechisch-lateinische Tradition der Bibelübersetzung der Septuaginta und der Vulgata, nach der die Psalmen in diesem Handbuch angegeben sind. Der Unterschied besteht darin, dass die griechisch-lateinische Tradition die Psalmen 9 und 10 sowie 114 und 115 in hebräischer Zählung als jeweils nur eine Nummer zählt, während sie die Psalmen 116 und 117 nach hebräischer Zählung in zwei Nummern teilt. Hieraus ergibt sich zum größten Teil eine Verschiebung der griechisch-lateinischen Zählung gegenüber der hebräischen um eine Nummer nach hinten, die folgendes Konkordanzschema verdeutlicht:
Hebräisch/Luther | Griechisch-lateinisch, Septuaginta, Vulgata |
---|---|
Ps. 1–8 | 1–8 |
9–10 | 9 |
11–113 | 10–112 |
114–115 | 113 |
116 | 114–115 |
117–146 | 116–145 |
147 | 146–147 |
148–150 | 148–150 |
Bereits Amalar von Metz berichtet um 830 über Unterschiede im Aufbau des Stundengebets zwischen Rom, Metz und Corbie, als er das von Chrodegang von Metz ins Frankenreich eingeführte römische Antiphonar im Sinne des Säkularklerus neu redigiert. So konnte z.B. im cursus romanus die Matutin auch insgesamt 18 Psalmen aufweisen und ihr Hymnus entfallen oder Matutin und Laudes wurden zu einer gemeinsamen Morgenhore zusammengezogen. Besondere Festoffizien bestanden aus gereimten Versen, enthielten Tropierungen, schoben weitere Gesänge ein, sonst gesprochene Texte wurden gesungen und Prozessions- und Marienantiphonen hinzugefügt, ja sogar geistliche Spiele, wie z.B. die Osterspiele (visitatio sepulchri) konnten sich am Schluss der Matutin entfalten. Bei der Untersuchung einer konkreten Handschrift empfiehlt es sich also immer, den genauen Kontext der zugrundeliegenden Stundengebetsordnung zu eruieren und das hier vorgestellte allgemeine Schema nur als Gerüst und Anhaltspunkt zu verwenden.
Editionen
Psalmen 109–112: LU 128–153
Canticum Magnificat: LU 207–218
Ps. 4, 90, 133: LU 264–266
Hymnus Te lucis ante terminum: LU 266–269
Canticum Nunc dimittis: LU 271
Alma redemptoris mater, Ave regina caelorum, Regina caeli, Salve regina: LU 273–276
Venite exultemus Domino: LU 368–371
Te deum: GT 838–841
Canticum trium puerorum Benedicite omnia opera Domini Domino: LU 398–399
Canticum Benedictus: LU 402–403
Handschriften
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Literatur
Maur, Hansjörg auf der, Feiern im Rhythmus der Zeit I. Herrenfeste in Woche und Jahr (Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft), Regensburg 1983.
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Kellner, Heinrich, Heortologie oder die geschichtliche Entwicklung des Kirchenjahres und der Heiligenfeste von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Freiburg 31911.
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Irtenkauf, Wolfgang, „Der Computus ecclestiasticus in der Einstimmigkeit des Mittelalters“ in: Archiv für Musikwissenschaft 14, 1957, S. 1–15.
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Grotefend, Hermann, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 1981 Hannover.
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